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Die GEAS-Schnellspur: Beschleunigte Verfahren und Grenzverfahren unter der neuen EU-Asylverfahrensverordnung (Teil I)

6. Januar 2025 in Beiträge
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Tags: Anerkennungsquote, Beschleunigungsgründe, GEAS-Reform, Rechtsschutz, Screening

Dr.in Julia Kienast, LL.M.

Julia Kienast promovierte 2021 zum Thema „EU Mass Migration Governance“ an der Universität Wien. Im Jahr 2019/20 absolvierte sie ein LL.M.-Studium an der University of Michigan Law School mit Schwerpunkt im internationalen Flüchtlingsrecht. Von 2021 bis 2023 war sie als Postdoc an der Aarhus Universität in Dänemark tätig, wo sie als Teil des Horizon-Projekts ASILE zum europäischen Asylsystem forschte und am TemPro Projekt mitarbeitete. 2023/24 begleitete sie als Legal Associate von UNHCR Brüssel die GEAS-Reform. Seit Juni 2024 ist Julia Kienast Postdoc für Verfassungs- und Verwaltungsrecht in seinen europäischen Bezügen an der Universität Wien und wissenschaftliche Koordinatorin des Vienna Centre for Migration & Law.

Mag.a Lisa Steurer, LLB.oec.

Mag.a Lisa Steurer, LLB.oec. ist Universitätsassistentin (prae doc) an der Universität Wien. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit dem im Rahmen der GEAS-Reform eingeführten Solidaritätsmechanismus der Asyl- und Migrationsmanagementverordnung. Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Verwaltungsgerichtshof und am Österreichischen Institut für Menschenrechte tätig.


Die GEAS-Reform bringt zahlreiche Neuerungen. In diesem Blogpost widmen wir uns den besonderen Verfahrensarten der Asyl-Verfahrensverordnung ((EU) 2024/1348 – VerfahrensVO)*, spezifisch dem beschleunigten Verfahren (Teil I) und dem Grenzverfahren sowie dem damit einhergehenden reduzierten Rechtsschutz (Teil II), im Hinblick auf ihre Umsetzung in Österreich.

Die neuen Bestimmungen sind gem Art 79 der neuen VerfahrensVO ab dem 12. Juni 2026 anwendbar. Bis dahin müssen die Mitgliedstaaten deren Umsetzung vorbereiten. Angesichts der umfassenden Reform stellen sich dabei einige Herausforderungen, sowohl an die nationale Gesetzgebung als auch die Verwaltung. Für die Rechtsunterworfenen ergeben sich manche Vorteile, wie erweiterte verfahrensrechtliche Schutzvorschriften oder die konkretere Ausgestaltung der Verfahrensbestimmungen, aber auch einige potenzielle Nachteile. Gerade die besonderen Verfahrensarten bergen dafür – durch die Beschleunigung und Auslagerung an die Grenze – ein erhöhtes Risiko. Für Rechtsanalysen auf EU-Ebene siehe bereits hier, hier und hier.

*Artikel, die ohne Bezeichnung der Verordnung angeführt werden, beziehen sich auf die Asyl-Verfahrensverordnung.

  1. Drei Monate und zehn Tage

Art 42 der VerfahrensVO regelt das beschleunigte Prüfungsverfahren, das bei Vorliegen einer der in Art 42 (1) aufgezählten Tatbestände zur Anwendung kommen soll. Anders als das Grenzverfahren, das klar vom regulären Verfahren zu unterscheiden ist, ist die „beschleunigte“ materielle Prüfung im regulären Verfahren angesiedelt – nur, wie der Name verspricht, unter Anwendung verkürzter Fristen. Das behördliche Verfahren soll nämlich binnen drei Monaten abgeschlossen werden (Art 35 (3)). Die Rechtsmittelfrist ist von den Mitgliedstaaten festzulegen, soll aber gemäß Art 67 (1) lit a maximal zehn Tage betragen (zum Rechtsschutz siehe Teil II).

Machte die VerfahrensRL noch keine dezidierte Ausnahme in Bezug auf die Anwendung der Beschleunigungsgründe auf Minderjährige, sind gemäß Art 42 (3) von nun an nur 5 der 10 Tatbestände auf unbegleitete minderjährige Asylsuchende anwendbar. Unabhängig davon haben die Behörden grundsätzlich von der Durchführung des beschleunigten Prüfungsverfahrens abzusehen, wenn Antragsteller:innen besondere Verfahrensgarantien benötigen. Außerdem „kann” die Behörde die Prüfung im regulären Verfahren fortsetzen, wenn sie der Ansicht ist, dass die Prüfung des Antrags Sach- oder Rechtsfragen umfasst, die zu komplex und einer beschleunigten Prüfung daher nicht zugänglich sind (Art 42 (2)).

Something old, something new – aber jedenfalls verpflichtend

In Art 42 (1) legt der Unionsgesetzgeber einen 10-teiligen Katalog fest, der – wie schon zuvor – sichtlich darauf abzielt, möglichst alle Sachverhalte zu erfassen, in denen Anträgen schlechte Chancen auf einen positiven Verfahrensausgang unterstellt werden. Anders als unter der bisher geltenden Bestimmung des Art 31 (8) VerfahrensRL sind die Behörden ab 2026 jedoch unionsrechtlich verpflichtet, bei Vorliegen einer der Tatbestände ein beschleunigtes Verfahren zu führen.

Unwahrscheinliches Vorbringen und frühestmögliche Antragstellung

Bislang regelte der österreichische Gesetzgeber das beschleunigte Verfahren in § 27a AsylG 2005 iVm § 18 (1) BFA-VG. Praktisch handelt es sich dabei um sogenannte „rasche“ oder „Schnell- und Eilverfahren“. Über die in diesen – auch im nationalen Recht bislang optionalen – Verfahren angewendeten Beschleunigungsgründe gibt es laut Anfragebeantwortung des BMI keine Dokumentation (siehe zu den „raschen Verfahren” außerdem hier). Offen bleibt damit auch die zukünftige Umsetzung durch die Behörden bzw die Frage, ob sich Gerichte nunmehr zusehends mit der Frage befassen müssen, wann etwa ein Vorbringen „eindeutig unstimmig” oder „offensichtlich unwahrscheinlich” ist (Art 42 (1) lit b).

Das ist – auch vor dem Hintergrund, dass im ersten Halbjahr 2023 über 4.000 solcher Verfahren geführt wurden – nicht unwesentlich. Art 31 (8) lit e VerfahrensRL wurde seinerzeit nicht ins nationale Gesetz übernommen. Nunmehr steht es den zuständigen Behörden aufgrund von Art 42 (1) lit b VerfahrensVO jedoch theoretisch offen, das Fluchtvorbringen in erster Instanz als im Ergebnis „offensichtlich nicht überzeugend” zu qualifizieren und ein – mit weitreichenden Konsequenzen in Bezug auf die Rechtsschutzmöglichkeiten belegtes – beschleunigtes Verfahren durchzuführen.

Gleichermaßen auslegungsbedürftig erweisen sich die Gründe in lit h und i. Der österreichische Gesetzgeber nahm den bisherigen Beschleunigungsgrund des Art 31 (8) lit h VerfahrensRL (nun Art 42 (1) lit h VerfahrensVO) nicht ins österreichische Regelwerk auf. Art 42 (1) lit h sieht die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens bei Antragsteller:innen vor, die unrechtmäßig eingereist sind und es versäumt haben, „frühestmöglich” einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Zusätzlich soll nun auch ein beschleunigtes Verfahren geführt werden, wenn die Antragsteller:innen zwar rechtmäßig einreisen, aber es ohne triftigen Grund versäumen, zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Antrag zu stellen (lit i). Mit der Frage, wann „frühestmöglich“ ist, hat sich der EuGH bislang nicht befasst.

Abnahme von Fingerabdrücken – Pflicht der Mitgliedstaaten

Die bisherige lit i – die vorsieht, ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen, sollte sich die Person weigern, ihre Fingerabdrücke abzugeben – konnte entfallen, zumal vor Einleitung des Asylverfahrens ein Screening iSd ScreeningVO (vgl Art  9 (2) lit b, 17 (1), 18 (2) (EU) 2024/1356) und die Einspeisung der Daten in EURODAC (vgl Art 15 (EU) 2024/1358) stattfinden soll. EURODAC überträgt den Mitgliedstaaten die Verpflichtung, die biometrischen Daten zu erfassen und wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Maßnahmen im nationalen Recht festzulegen (vgl Art 13, EG 52f EURODAC). Eine Weigerung wäre außerdem im Screening-Formular festzuhalten und Verzögerungen des Asylverfahrens würden zulasten der Antragsteller:innen ausgelegt (vgl Art 9 (2) VerfahrensVO).

Eine Modifizierung erfuhr die bisherige lit j. Mussten bislang „schwerwiegende Gründe” („serious reasons”) für die Annahme vorliegen, dass der oder die Schutzsuchende eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats darstellt, führt die Behörde nunmehr bereits bei Bestehen „triftiger Gründe” („reasonable grounds”) ein beschleunigtes Verfahren durch.

20%-Grenze hinsichtlich der Anerkennungsquote

Ganz neu – und zentrales Element des Grenzverfahrens – ist gemäß Art 42 (1) lit j die Beschleunigung, wenn Antragsteller:innen aus einem Drittstaat stammen, bei dem die Zuerkennung von Schutz durch die Asylbehörde statistisch unwahrscheinlich ist: Wurde im Jahresdurchschnitt in weniger als 20 % der Fälle internationaler Schutz zuerkannt, ist ein beschleunigtes Verfahren zu führen, es sei denn, es sind erhebliche Änderungen eingetreten oder der:die Schutzsuchende ist Teil einer Gruppe, für die 20 % als nicht repräsentativ angesehen werden können. Dort, wo es erhebliche Unterschiede zwischen Entscheidungen der Asylbehörde und rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen gibt, müssen diese auch berücksichtigt werden. Die 20 %-Schwelle überschreiten, laut aktueller Eurostat-Daten, Schutzsuchende aus Syrien, Afghanistan, Iran, Nigeria, Pakistan und Bangladesch (vgl EG 56 VerfahrensVO).

Teil II dieses Beitrags bespricht die Ausweitung des Grenzverfahrens und seine Bedeutung im österreichischen Kontext. Damit einhergehend werden auch Rechtsschutzprobleme diskutiert, die sich durch die Beschleunigungsmaßnahmen ergeben oder verstärken.


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