Recht und Wissenschaft in Österreich

Blog Asyl Newsletter

Wenn Sie über neue Beiträge am Blog Asyl informiert werden wollen, registrieren Sie sich hier für den Newsletter

Einführung einer Wartefrist auf Sozialhilfe: verfassungsrechtliche Überlegungen

26. August 2024 in Beiträge
1 Kommentare

Tags: Einschränkung, Sozialhilfe, Verfassungswidrigkeit, Wartefrist

Mag.a Stephanie Isobel Lackner

Mag.a Stephanie Isobel Lackner ist Juristin mit Spezialisierung auf Asyl, Integration und Migration. Nach ihrem Engagement für die Refugee Law Clinics sowie ihrer Tätigkeit in einer Anwaltskanzlei und bei der Caritas Österreich absolviert sie nun ein Masterstudium am Global Campus of Human Rights.


Vorschläge seitens der Politik, den Anspruch auf Sozialhilfe einzuschränken, sind nicht neu. Die Rufe nach einer Einführung einer Wartefrist wurden im letzten Jahr wieder stetig lauter. Der Vorschlag ist, dass man erst nach 5-jährigem nachgewiesenen Aufenthalt in Österreich für den Bezug der Sozialhilfe anspruchsberechtigt sein soll. Derartige Einschränkungen werfen jedoch verfassungsrechtliche Bedenken auf, die vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) in den letzten Jahren bereits mehrfach geteilt wurden. Auch Universitätsprofessor Dr. Walter Pfeil wies wiederholt auf diese verfassungsrechtlichen Bedenken hin und steuerte diesem Artikel seine Expertise bei.

Aktuell haben Asylberechtigte in gleicher Weise wie österreichische Staatsbürger:innen  gemäß § 4 Sozialhilfe Grundsatzgesetz vollen Anspruch auf Sozialhilfe. Das gilt unabhängig davon, wie lange sie bereits in Österreich wohnhaft sind und ob oder wie lange sie zuvor in Österreich erwerbstätig waren. Der Zweck der Sozialhilfe ist die soziale Absicherung. Im Gegensatz zu einem versicherungsbasierten System, wie beispielsweise dem Arbeitslosengeld, erfordert die Sozialhilfe daher auch keine vorangegangenen Einzahlungen. Ein Vorschlag seitens der Politik ist, diesen Anspruch auf Sozialhilfe einzuschränken, indem man eine aufenthaltsbezogene Wartefrist einführt. Der Anspruch auf Sozialhilfe würde sowohl für österreichische Staatsbürger:innen als auch für Asylberechtigte somit erst mit Ablauf dieser Frist entstehen. Während dieses Erfordernis für die meisten österreichischen Staatsbürger:innen kein Problem darstellen wird, wären ausländische Staatsbürger:innen, die erst kürzlich nach Österreich gezogen sind – darunter zu einem großen Teil Asylberechtigte – nahezu immer betroffen. So geht aus Berichten der Statistik Austria aus dem Jahr 2023 hervor, dass nur 13.391 Auslandsösterreicher:innen nach Österreich gezogen seien, die von solch einer Regelung somit betroffen wären (Statistik Austria, Außenwanderungen 1996–2023 nach Staatsangehörigkeit, 28.05.2024). Gleichzeitig sind ganze 59.232 Personen in diesem Jahr nach Österreich gezogen, um einen Asylantrag zu stellen (Asylstatistik 2023, BMI).

Gedanken zur Verfassungswidrigkeit einer aufenthaltsbezogenen Wartefrist

Der VfGH hat sich im Jahr 2018 im Rahmen eines Gesetzesprüfungsverfahrens mit einer Regelung im Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz bereits mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Abstellen auf die Aufenthaltsdauer im Inland eine sachlich gerechtfertigte und somit verfassungskonforme Regelung darstellt, die eine Ungleichbehandlung erlauben würde (VfGH vom 07.03.2018, G 136/2017). Grundsätzlich normiert die österreichische Verfassung in Artikel 7 Bundes-Verfassungsgesetz nämlich eine Gleichbehandlung aller Personen vor dem Gesetz. Eine Differenzierung, das heißt eine Ungleichbehandlung von verschiedenen Personengruppen, ist nur gestattet, sofern ein gerechtfertigtes Ziel damit verfolgt wird und die Differenzierung notwendig sowie das gelindeste Mittel ist, um dieses legitime Ziel zu erreichen – es sich also kurz gesagt um eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung handelt.

Das beim VfGH angefochtene Niederösterreichische Mindestsicherungsgesetz normierte zwar – anders als der aktuell diskutierte Vorschlag – keinen gänzlichen Ausschluss, aber eine verminderte Bezugshöhe für Personen, die sich in den letzten 6 Jahren weniger als 5 Jahre in Österreich aufhielten. Die Regelung galt für Staatsbürger: innen genauso wie für Asylberechtigte. Der VfGH hat damals entschieden, dass das Abstellen auf die Aufenthaltsdauer im Inland keine sachlich gerechtfertigte Differenzierung darstellt, auch wenn das dahinterliegende Ziel, den Zugang zu Leistungen der öffentlichen Hand aufgrund von übermäßig belastender Nachfrage zu erschweren, grundsätzlich gerechtfertigt ist. Die Regelung im Niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz musste nach Aufhebung durch den VfGH geändert werden.

Eine Anknüpfung an die Aufenthaltsdauer im Inland ist für Staatsbürger:innen aus folgenden Gründen für verfassungswidrig erklärt worden:

Die NÖ Landesregierung argumentierte, dass die Aufenthaltsdauer in Österreich eine enge Verbindung zur Solidargemeinschaft des Staates darstellt, der für diese Leistungen finanziell aufkommt. Der VfGH entgegnete jedoch, dass österreichische Staatsbürger:innen aufgrund ihres Staatsbürgerschaftsstatus bereits diese enge Verbindung zur Solidargemeinschaft haben, unabhängig von ihrer Aufenthaltsdauer im Inland.

Weiter führte die NÖ Landesregierung an, dass die Regelung einen Anreiz zur Integration und zur Arbeitsaufnahme schaffen soll. Der VfGH stellte klar, dass die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft bereits eine vorhandene Integration voraussetzt – einen Anreiz zur Integration zu schaffen, ist somit schlichtweg nicht mehr notwendig. Zudem ist nicht ersichtlich, weshalb österreichische Staatsbürger:innen, die in den letzten 6 Jahren weniger als 5 Jahre in Österreich gelebt haben, einen stärkeren Arbeitsanreiz benötigen sollten. Der bloße Aufenthalt im In- oder Ausland gebe wohl keinen Aufschluss über die Arbeitsbereitschaft einer Person.

Die Unterscheidung der Höhe der Mindestsicherung basierend auf der Aufenthaltsdauer in den letzten 6 Jahren in Österreich verstößt daher gegen Art. 7 B-VG, da sie österreichische Staatsbürger:innen ungleich behandelt und diese Ungleichbehandlung nicht sachlich gerechtfertigt ist.

Eine Anknüpfung an die Aufenthaltsdauer im Inland ist für Asylberechtigte aus folgenden Gründen für verfassungswidrig erklärt worden:

Für Asylberechtigte ist eine solche Regelung, auch wenn sie für Drittstaatsangehörige und Unionsbürger:innen in gleicher Weise gilt, ebenso nicht sachlich gerechtfertigt. Der wesentliche Unterschied besteht nach Ansicht des VfGH darin, dass Unionsbürger:innen und Drittstaatsangehörige grundsätzlich die Möglichkeit haben, in ihr Heimatland zurückzukehren und dort Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Asylberechtigte haben hingegen ihr Heimatland nicht freiwillig verlassen, ihren Wohnsitz in Österreich nicht selbst gewählt und können auch nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren (vgl. sinngemäß EGMR 27.9.2011, Fall Bah, Appl. 56.328/07, Rz 45; 6.11.2012, Hode und Abdi, Appl. 22.341/09, Rz 47). Asylberechtige mussten ihr Herkunftsland wegen „wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden“ verlassen und können aus denselben Gründen (derzeit) nicht dorthin zurückkehren.

Nach der Aufenthaltsdauer im Inland zu differenzieren, verstößt laut VfGH aus diesen Gründen gegen den Gleichheitsgrundsatz und Art. 1 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung. Ein Rückschluss auf das europäische Recht sowie das Argument, dass Dänemark – das nebenbei bemerkt über zahlreiche Opt-Out Regeln hinsichtlich europäischer Regelungen verfügt – ist demnach gar nicht notwendig, um gravierende rechtliche Probleme einer derart ausgestalteten Regelung zu erkennen.

Nur am Rande soll daher erwähnt werden, dass auch aufgrund internationaler Übereinkünfte eine Andersbehandlung von Asylberechtigten in Bezug auf die Sozialhilfe nicht gestattet ist. Art. 23 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), welche für Österreich verbindlich ist, verlangt eine nach Art und Höhe gleich ausgestaltete öffentliche Unterstützung und Hilfeleistung für Asylberechtigte und Staatsbürger:innen (vgl. EGMR 28.10.2010, Fall Fawsie, Appl. 40.080/07, Rz 38; siehe auch Art. 29 Status-RL). Österreich hat die – innerstaatlich im Rang eines einfachen Bundesgesetzes stehende – GFK mit der Maßgabe ratifiziert, dass unter den in Art. 23 GFK angeführten „Öffentlichen Unterstützungen und Hilfeleistungen“ nur Zuwendungen aus der öffentlichen Fürsorge (Armenversorgung) zu verstehen sind. Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind nach Auffassung des VfGH jedenfalls Zuwendungen aus der öffentlichen Fürsorge („Armenwesen“ im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Z 1 B-VG). (VfGH vom 07.03.2018, G 136/2017 u.a., Rn. 114). Bereits aus den „travaux préparatoires“ der Genfer Flüchtlingskonvention in Bezug auf Art. 23 GFK geht hervor, dass für Flüchtlinge keine „Wartefristen“ gelten sollen, auch wenn solche für die Staatsangehörigen des Aufnahmestaates vorgesehen sind (UNHCR, The Refugee Convention 1951: The Travaux préparatoires analysed with a Commentary by Dr. Paul Weiß, 1990, S. 124).

Das Burgenländische Mindestsicherungsgesetz, das ebenso eine geringere Bezugshöhe für Personen vorsieht, die sich in den letzten 6 Jahren weniger als 5 Jahre in Österreich aufgehalten haben, wurde wenig später auch vom VfGH aus nahezu denselben Gründen aufgehoben und die ergangene Judikatur somit bestätigt (VfGH vom 01.12.2018, G 308/2018).

Gedanken zur Verfassungswidrigkeit einer erwerbsbezogenen Wartefrist

In der politischen Debatte zu diesem Thema wird darüber hinaus häufig betont, dass man zunächst in das System einzahlen müsse, um später in vollem Umfang davon profitieren zu können. Die Vorstellung dahinter ist, dass auch ein mehrjähriger Aufenthalt nicht ausreiche, sondern Erwerbstätigkeit über einen bestimmten Zeitraum erforderlich sei. Auch wenn es sich bei den genannten Erkenntnissen in beiden Fällen um aufenthaltsbezogene Wartefristen gehandelt hat, können die Schlussfolgerungen auf eine erwerbsbezogene Wartefrist übertragen werden.

Die erforderliche, aber bereits bestehende enge Beziehung zum Staat gilt für Staatsbürger:innen auch in Bezug auf eine erwerbsbezogene Wartefrist. Gleiches gilt für die Argumentation, dass Asylberechtigte ihr Heimatland nicht freiwillig verlassen haben und derzeit nicht dorthin zurückkehren können, um Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen.

Es sei nochmals betont, dass es sich nicht um ein System handelt, in das durch Erwerbstätigkeit eingezahlt wird, sondern um ein System der sozialen Absicherung. Eine vorangegangene Erwerbstätigkeit zu verlangen, würde dem ursprünglichen Zweck der Sozialhilfe – der sozialen Absicherung – widersprechen.

Wenn der VfGH bereits entschieden hat, dass es verfassungswidrig ist, einen Aufenthalt im Inland gesetzlich vorzuschreiben, ist es – argumentum a maiore ad minus – folglich auch nicht gerechtfertigt, den Anspruch auf Sozialhilfe an den Nachweis einer 5-jährigen Erwerbstätigkeit im Inland zu knüpfen. Das Vorweisen von 5 Jahren Erwerbstätigkeit im Inland ist schließlich nur möglich, wenn auch der Aufenthalt im Inland vorliegt.

Conclusio

Feststeht, dass die Einführung einer Wartefrist auf Sozialhilfe, sei es aufenthalts- oder erwerbsbezogen, erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aufwirft. Der VfGH hat in zwei Entscheidungen klargestellt, dass solche Regelungen nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sind. Die erforderliche, enge Verbindung von Staatsbürger:innen zum Staat besteht unabhängig von ihrer Aufenthalts- oder Erwerbsdauer. Für Asylberechtigte sind ähnliche Regelungen ebenfalls nicht gerechtfertigt, da sie – im Gegensatz zu Drittstaatsangehörigen oder Unionsbürger:innen – ihr Heimatland unfreiwillig verlassen haben und nicht zurückkehren können.

Politische Entscheidungsträger:innen zeigten sich bisher dennoch zuversichtlich, eine verfassungskonforme Lösung zu finden, müssen bei ihren Überlegungen aber die Rechtsprechung des VfGH in den Blick nehmen. (Susanne Raab, Profil, 19.08.2023; ÖVP drängt weiterhing auf Wartefrist für Sozialhilfe, Die Presse, 08.08.2024)


Twitter Facebook Linkedin Email Print Whatsapp Telegram

Kommentare

One thought on "Einführung einer Wartefrist auf Sozialhilfe: verfassungsrechtliche Überlegungen"

  1. Markus NEUNER sagt:

    Herzlichen Dank für diesen wertvollen Artikel. Ich halte BLOGASYL für sehr informativ.
    Die 5-Jahre-Wartefrist um dann Sozialhilfe zu beziehen ist nicht nur verfassungsrechtlich höchst bedenklich sondern würde auch nicht machbar sein. Denn wenn man das Gesetz ändern würde, würde es sowohl Staatsbürger als auch Asylwerber gleichermaßen betreffen. Immer wieder wurden betreffend längerer Wartefristen um Sozialhilfe zu erhalten Diskussionen geführt aber es gab bei diesen Diskussionen keine Lösungen da diese im Sand verlaufen sind oder sich die Diskussion in Luft aufgelöst hat. Warum und weshalb jemand Sozialhilfe erhält hat immer einen Hintergrund. AsylwerberInnen haben die gleichen Rechte auf soziale Absicherung wie StaatsbürgerInnen.

    Ich bedanke mich herzlichst für diesen wertvollen Artikel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert