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VfGH: Nicht-Zuerkennung subsidiären Schutzes und Rückkehrentscheidung betreffend einen afghanischen Staatsangehörigen im konkreten Einzelfall verfassungsrechtlich vertretbar


Mit Erkenntnis vom 13. Juni 2024, E 746/2024 hat der VfGH die Beschwerde eines afghanischen Staatsangehörigen abgewiesen, dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, gegen den eine Rückkehrentscheidung erlassen, dessen Abschiebung für zulässig erkannt und dem eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt worden war. Das BVwG hat aus Sicht des VfGH vor dem Hintergrund der Länderinformationen und der konkreten individuellen Umstände des Beschwerdeführers vertretbar begründet, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan (insbesondere) keine reale Gefahr einer Verletzung in seinen Rechten gemäß Art. 2 und 3 EMRK droht.

Der Beschwerdeführer hatte im Oktober 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, über den das BFA mit Bescheid im Oktober 2023 vollinhaltlich negativ entschieden hatte. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das BVwG im Februar 2024 abgewiesen. Die Nicht-Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer begründete das BVwG im Wesentlichen mit der veränderten Sicherheits- und Versorgungslage seit der Machtübernahme durch die Taliban und der Unterstützungsmöglichkeit des Beschwerdeführers durch seine Familie, die ein Haus sowie einen Hof mit mehreren bewirtschafteten Grundstücken besitze.

In seiner Beschwerde an den VfGH verwies der Beschwerdeführer demgegenüber darauf, dass die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan nach wie vor schlecht sei und sich seit der Machtübernahme durch die Taliban nur geringfügig verbessert habe.

Der VfGH hält in seinem Erkenntnis fest, dass das BVwG ausgehend von der von ihm (mittelbar) herangezogenen Länderinformation der Staatendokumentation zu Afghanistan, Version 10, vom 28. September 2023 und der verwiesenen „Country Guidance: Afghanistan“ der EUAA vom Jänner 2023 nachvollziehbar von einer insofern verbesserten Sicherheitslage ausgegangen ist, als eine auf das gesamte Staatsgebiet bezogene ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Beschwerdeführer als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts nicht (mehr) vorliegt (Rz 17).

Auch der Beurteilung der hinsichtlich des Beschwerdeführers zu erwartenden Versorgungslage in Afghanistan durch das BVwG ist aus Sicht des VfGH im vorliegenden Fall nicht entgegenzutreten, weil das BVwG auf die aktuellen Länderinformationen und die individuelle Situation des Beschwerdeführers eingegangen ist und eine vertretbare Einzelfallprüfung vorgenommen hat. Das BVwG bezog sich insbesondere auf den Bericht „Afghanistan – Country Focus“ der EUAA aus Dezember 2023, aus dem sich ergibt, dass 23 (der insgesamt 34) afghanischen Provinzen, darunter auch die Herkunftsprovinzen des Beschwerdeführers (Maidan Wardak und Kabul), in die IPC-Stufe 3 („crisis“) (von insgesamt 5 Stufen) eingestuft worden seien. Daneben berücksichtigte das BVwG, dass der Beschwerdeführer ein arbeitsfähiger Mann ist, der den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht hat, dort zwölf Jahre zur Schule gegangen ist, Berufserfahrung (durch den Betrieb eines eigenen Geschäfts für Baumaterialien und Arbeit als Schreibkraft in einer Firma) gesammelt hat und über ein weites familiäres Netz verfügt, wobei seine Familie ein Haus in Kabul und einen Hof und mehrere bewirtschaftete Grundstücke in Maidan Wardak besitzt. Zudem hat der Beschwerdeführer selbst die wirtschaftliche Situation seiner Familie unmittelbar vor seiner Flucht (die im April 2022, und damit etwa acht Monate nach der Machtübernahme durch die Taliban erfolgte) ausdrücklich als gut beschrieben (Rz 18).

Da auch in Bezug auf die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses kein in die Verfassungssphäre reichender Mangel erkannt wurde und die angewendeten Rechtsgrundlagen unbedenklich sind, hat der VfGH die Beschwerde abgewiesen und sie antragsgemäß dem VwGH abgetreten. Der VwGH hat eine außerordentliche Revision gegen das betreffende Erkenntnis bereits mit Beschluss vom 24. April 2024, Ra 2024/19/0112, zurückgewiesen.

Im dargelegten Erkenntnis kommt der VfGH zum Schluss, dass das BVwG die reale Gefahr einer Verletzung (insbesondere) der Art. 2 oder Art. 3 EMRK im Falle der Rückkehr eines Beschwerdeführers nach Afghanistan vertretbar verneinte. Der VfGH weist hierbei auf die vom BVwG herangezogenen Länderinformationen hin und hebt die konkreten Umstände des Beschwerdeführers sowie dessen (eigenes) Vorbringen, dass die wirtschaftliche Situation seiner Familie auch noch nach der Machtübernahme durch die Taliban gut gewesen sei, hervor. Im Ergebnis bedeutet dieses Erkenntnis somit eine gewisse Abkehr von der, unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Taliban ergangenen Rechtsprechung des VfGH zu Afghanistan (zB VfGH 24.9.2021, E 3047/2021, sowie die Besprechung dieser Judikatur am Blog Asyl). Die Beurteilung der realen Gefahr einer Verletzung insbesondere der Art. 2 und Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Afghanistan (und damit der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005) ist nunmehr (wieder) auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung zulässig (vgl. zB VfGH 21.2.2014, U 152/2013; VfSlg. 20.228/2017 („young able man“-Judikatur); VfSlg. 20.358/2019) und kann – sofern dies angesichts der aktuellen Länderinformationen und der individuellen Umstände der betreffenden Partei nachvollziehbar und vertretbar begründet werden kann – auch zu dem Ergebnis führen, dass eine entsprechende Gefahr im Fall einer Rückkehr nicht bzw. nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit besteht.

Bearbeitet von: Dr. Martina Lais


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