Das EuGH Urteil in der Rs Shepherd, die EU-Sanktionen gegen Syrien und die Grenzen des Zumutbaren
24. April 2024 in
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Tags: Befreiungsgebühr, EuGH, Militärdienst, Wehrdienst
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Steht die rechtliche Möglichkeit des „Freikaufens“ von der Wehrpflicht in der syrischen Armee einer Anerkennung als Flüchtling entgegen? Vor dem Hintergrund der geltenden EU-Sanktionen gegen Syrien ist zweifelhaft, ob der EuGH Flüchtlingen ein Verhalten zumuten würde, das die Beteiligung an der Umgehung von geltendem Unionsrecht impliziert.
Das einzige Mittel oder das einzige zumutbare Mittel?
Was darf Menschen zugemutet werden, wenn ihnen eine Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt droht, in dem sie sich an Kriegsverbrechen beteiligen würden? Eine neuere Rechtsprechungslinie des BVwG, die auf dem BlogAsyl bereits kritisch diskutiert wurde (siehe BlogAsyl Beiträge „Freikaufen“ vom Militärdienst? Teil I und II), stützt sich bei der rechtlichen Beurteilung von Fällen syrischer Wehrdienstverweigerer mittlerweile (auch) darauf, dass die Antragsteller die nach syrischem Recht gesetzlich vorgesehene Möglichkeit des „Freikaufens“ vom Militärdienst nicht in Anspruch genommen haben, bzw. geht davon aus, dass ihnen die Inanspruchnahme dieser Möglichkeit zumutbar wäre.
Eine zentrale Passage im EuGH-Urteil in der Rs Shepherd [CURIA – Dokumente (europa.eu), Rz 44] dient dafür als rechtliche Argumentationsgrundlage, da der Gerichtshof darin ausführte, dass die Konsequenzen einer Militärdienstverweigerung nur dann als Verfolgungshandlung im Sinne von Art 9 Abs 2 lit e Status-RL angesehen werden können, wenn die Verweigerung des Wehrdienstes das „einzige Mittel“ darstellt, um der Wehrpflicht zu entgehen. Manche BVwG-Richter:innen argumentieren in Fällen von syrischen Wehrdienstverweigerern im Wesentlichen eben damit, dass wegen der im syrischen Recht vorgesehenen Möglichkeit der Zahlung einer „Befreiungsgebühr“ für die Antragsteller ein Mittel besteht, um ihrer Wehrpflicht und der damit einhergehenden Beteiligung an Kriegsverbrechen zu entgehen. Eine Verfolgungshandlung im Sinn von Art 9 Abs 2 lit e Status-RL würde daher nicht in Frage kommen.
Der im og. EuGH-Urteil verwendete Begriff des „einzigen Mittels“ wurde vom Gerichtshof (bisher) noch nicht näher erläutert und lässt daher verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass das BVwG in seiner aktuellen Syrien-Rechtsprechung die rechtliche Frage, ob die Bezahlung einer Befreiungsgebühr grundsätzlich ein zumutbares Mittel iSd EuGH Rechtsprechung darstellen kann, sehr unterschiedlich beantwortet. In manchen Erkenntnissen geht das BVwG davon aus, dass insb. im Unionsrecht „kein belastbarer Anhaltspunkt zu erkennen [ist], wonach die Aufnahmestaaten die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus lediglich für den Fall sicherzustellen hätten, dass ein Asylwerber aus moralischen oder politischen Beweggründen von einer ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeit einer Verfolgungsvermeidung nicht Gebrauch machen möchte.“ (BVwG 22.02.2024, W604 2281615-1 RIS – W604 2281615-1 – Entscheidungstext – Bundesverwaltungsgericht (BVwG) (bka.gv.at)). In anderen Fällen wird vom BVwG wiederum argumentiert, dass es „einem Asylwerber nicht zumutbar [ist], sich, um einer Verfolgung zu entgehen, an den ihn verfolgenden Staat zu wenden, um sich von dieser Verfolgung freizukaufen und dabei seine Daten bekannt geben zu müssen“ (siehe bspw. BVwG 28.12.2023, W276 2274986-1 [RIS – W276 2274986-1 – Entscheidungstext – Bundesverwaltungsgericht (BVwG) (bka.gv.at)] oder BVwG 02.02.2024, W221 2273890-1 [RIS – W221 2273890-1 – Entscheidungstext – Bundesverwaltungsgericht (BVwG) (bka.gv.at)]).
Der EuGH hat in seiner Judikatur bereits mehrfach betont, dass Flüchtlingen nicht alles zugemutet werden darf, um einer Verfolgung zu entgehen [vgl. EuGH 07.11.2013, X ua, C-199/12; EuGH 05.09.2012, C-71/11 ua, Y und Z]. Daraus lässt sich ableiten, dass in Asylverfahren von Wehrdienstverweigerern nicht tatsächlich alle Mittel, sondern vielmehr nur den Antragstellern zumutbare Mittel, die eine Nichtbeteiligung an Kriegsverbrechen während des Militärdienstes sicherstellen könnten und deren Inanspruchnahme von den Antragstellern trotzdem verweigert wird, eine Anerkennung als Flüchtling verhindern dürften. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der EuGH in seinem Urteil in der Rs Shepherd von dem in seiner Judikatur entwickelten Grundsatz, dass es eine rechtliche Grenze des zumutbaren Verhaltens für Flüchtlinge gibt, abweichen wollte.
Ungeklärt bleibt trotzdem, welche konkreten rechtlichen und tatsächlichen Umstände aus unionsrechtlicher Perspektive in einer derartigen Zumutbarkeitsprüfung berücksichtigt werden müssen. Meines Erachtens sollten die geltenden EU-Sanktionen gegen das syrische Regime bei einer derartigen Abwägungsfrage nicht völlig unberücksichtigt bleiben.
Geltende EU-Sanktionen gegen das syrische Regime
Gem Art 14 Abs 2 iVm Art 15 Abs 1 der EU-Verordnung 36/2012 des Rates vom 18. Januar 2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien [eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R0036&from=EN] gilt im Gebiet der Union weiterhin ein Verbot, dem syrischen Assad-Regime Gelder zur Verfügung zu stellen oder zugute kommen zu lassen. Die Überweisung von Geldbeträgen an das syrische Regime entgegen dieser unmittelbar anwendbaren EU-Sanktionsmaßnahme stellt in Österreich eine Verwaltungsübertretung dar und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 50.000 € zu bestrafen (vgl. § 12 Abs 1 SanktionenG [RIS – Sanktionengesetz 2010 – Bundesrecht konsolidiert, Fassung vom 30.03.2024 (bka.gv.at)]. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass „laut der Einschätzung verschiedener Organisationen die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen [dient]. So profitiert Syrien von den Devisenüberweisungen in die Gebiete unter Regimekontrolle sowie von den großen Summen, welche für die Befreiung vom Wehr- und Reservedienst zu zahlen sind.“ (siehe die vom BVwG zitierten Länderberichte im Erkenntnis vom 22.02.2024, W604 2281615-1 RIS – W604 2281615-1 – Entscheidungstext – Bundesverwaltungsgericht (BVwG) (bka.gv.at)).
Würde man vor dem Hintergrund dieser Berichtslage und der geltenden EU-Sanktionen davon ausgehen, dass die Zahlung einer „Befreiungsgebühr“ an das Assad-Regime ein zumutbares „Mittel“ iSd EuGH Rs Shepherd darstellen würde, das es syrischen Wehrdienstverweigerern erlaubt, der Beteiligung an Kriegsverbrechen im Zuge ihres Militärdienstes zu entgehen, würde dies notwendigerweise auch implizieren, dass der EuGH es syrischen Flüchtlingen zumuten würde, sich an der Umgehung der geltenden EU-Sanktionen gegen das syrische Regime zu beteiligen. Meiner Meinung nach kann dem EuGH Derartiges aber – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Einnahmen der militärischen Befreiungsgebühren dem syrischen Regime maßgeblich zur Generierung ausländischer Devisen dienen – nicht ohne nähere Begründung unterstellt werden, zumal der EuGH in der Rs Shepherd auch einen gänzlich anderen Sachverhalt zu beurteilen hatte.
Keine vergleichbaren Sachverhalte
Die Formulierung im EuGH-Urteil in der Rs Shepherd, dass die Wehrdienstverweigerung das „einzige Mittel“ darstellen muss, um der Wehrpflicht zu entgehen, sollte schließlich im Kontext des Sachverhaltes, den der EuGH damals zu entscheiden hatte, betrachtet werden. Der Gerichtshof hatte in diesem Fall eine Konstellation zu beurteilen, in der ein amerikanischer Staatsbürger das nach amerikanischem Recht gesetzlich vorgesehene Verfahren zur „Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer“ nicht angestrengt hatte und stattdessen in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Demgegenüber steht syrischen Wehrdienstverweigerern aktuell kein – mit dem amerikanischen Recht vergleichbares – gesetzliches Verfahren zur „Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer“ zur Verfügung. Die Option des „Freikaufens“ vom Militärdienst steht nämlich grundsätzlich nur wehrdienstpflichtigen Syrern offen, die bereits mehr als ein Jahr im Ausland aufhältig sind und über bestimmte Dokumente verfügen. Durch die Einführung der gesetzlichen Möglichkeit, eine militärische Befreiungsgebühr zu zahlen, wollte das syrische Regime den Wehrdienstentzug durch Flucht ins Ausland offenkundig nicht legalisieren, da Männern im wehrpflichtigen Alter die Ausreise aus Syrien weiterhin unter Strafe verboten ist und der syrische Staat – im Gegensatz zu den USA – das Recht auf Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen weiterhin nicht anerkennt.
Im Gegensatz zur Inanspruchnahme der Möglichkeit des „Freikaufens“ nach syrischer Rechtslage würde die Inanspruchnahme des „Verfahrens zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer“ in den USA für die betroffene Person auch nicht bedeuten, dass sie sich durch die Inanspruchnahme des Verfahrens an der Umgehung von geltenden EU-Sanktionen beteiligen müsste. Syrische Antragsteller in Österreich würden bei der Überweisung von Geldern an das syrische Verteidigungsministerium hingegen verwaltungsstrafrechtliche Konsequenzen riskieren. Auch darin lässt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen den zu beurteilenden Sachverhalten erkennen.
Conclusio
Bei näherer Betrachtung unterscheiden sich die Umstände eines syrischen Wehrdienstverweigerers erheblich von dem Fall, den der EuGH in der Rs Shepherd zu berücksichtigen hatte. Es erscheint mir daher nicht gerechtfertigt, dem EuGH zu unterstellen, dass er in der Rs Shepherd Flüchtlingen auch ein Verhalten zumuten wollte, das für sie die Beteiligung an der Umgehung von EU-Sanktionen und somit einen Verstoß gegen Unionsrecht bedeuten würde.
Es bleibt abzuwarten, wann (und wie) die österreichischen Höchstgerichte bei dieser Frage die rechtliche Grenze des Zumutbaren ziehen werden.
Håkan Dahlström "The Knotted Gun"
22. Dezember 2023 von Mag. Ronald Frühwirth in Beiträge
Seit kurzem sehen sich aus Syrien geflohene Schutzsuchende, die Verfolgung als Konsequenz für ihre Weigerung fürchten, den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, mit einer neuen Rechtsprechungslinie des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) konfrontiert. Das Gericht verwirft die Asylrelevanz eines solchen Vorbringens mit dem Argument, durch Bezahlung einer Gebühr an das syrische Regime könne die Befreiung von der Militärdienstpflicht erreicht werden. Damit stehe den Betroffenen eine „zuverlässige“ Alternative zur Verweigerung des Militärdienstes offen, wodurch die aufgrund der Verweigerung befürchteten Verfolgungshandlungen nicht eintreten würden, so das BVwG.
Håkan Dahlström "The Knotted Gun"
22. Dezember 2023 von Mag. Ronald Frühwirth in Beiträge
Seit kurzem sehen sich aus Syrien geflohene Schutzsuchende, die Verfolgung als Konsequenz für ihre Weigerung fürchten, den Militärdienst in der syrischen Armee zu leisten, mit einer neuen Rechtsprechungslinie des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) konfrontiert. Das Gericht verwirft die Asylrelevanz eines solchen Vorbringens mit dem Argument, durch Bezahlung einer Gebühr an das syrische Regime könne die Befreiung von der Militärdienstpflicht erreicht werden. Damit stehe den Betroffenen eine „zuverlässige“ Alternative zur Verweigerung des Militärdienstes offen, wodurch die aufgrund der Verweigerung befürchteten Verfolgungshandlungen nicht eintreten würden, so das BVwG.
Harald A. Jahn
29. November 2023 von Blog Asyl in Rechtsprechung
BVwG: Abweisung des Status des Asylberechtigten – Syrien
„[…] ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer als männlichem, im wehrdienstpflichtigen Alter befindlichem Syrer mit Aufenthalt außerhalb Syriens offenstehe, sich als alternative Möglichkeit zur bloßen Verweigerung der Ableistung seines Wehrdienstes bei der SAA, die zur (unverhältnismäßigen) Strafverfolgung führen würde, durch Leistung einer im syrischen Wehrrecht vorgesehenen Befreiungsgebühr (ohne Pönalcharakter) von einer Einziehung zum Wehrdienst bei der SAA zuverlässig zu befreien. […] Nach Ansicht des BVwG unterstelle das syrische Regime dem „üblichen“ Wehrdienstverweigerer durch Ausreise und Aufenthalt im Ausland nach den näher zitierten Länderberichten grundsätzlich keine oppositionelle Gesinnung.“
Es sollte beachtet werden, dass die Gelder nur nicht den in den Anhängen II und IIa genannten mittelbar und unmittelbar zur Verfügung gestellt werden dürfen. Das syrische Verteidigungsministerium ist nicht aufgeführt und daher müsste es unterstellt werden, dass das Geld in weiterer Folge der dort aufgezählten zu Gute kommt. Dahingehend braucht es wohl entsprechende Berichte. Weiters sollte Art 35 der VO beachtet werden, wonach die VO auf Staatsangehörige der EU Bürger beschränkt ist. Wenn das Geschäft außerhalb der EU von einem Syrer durchgeführt wird, verstößt es auch nicht, wenn man obiges unterstellt, dieser VO. Weshalb übrigens Syrern beim Wehrdienst Menschenrechtsverletzungen begehen müssten, wird hier unterstellt. Es bedarf aber einer Begründung, weshalb es gerade beim Syrer XY der Fall wäre. Dass es individuell-konkret einen GFK Konnex braucht, sollte nach der Rsp. des VwGH nicht vergessen werden. Die Berichtslage ist heute eine andere wie noch vor ein paar Jahren.
Vielen Dank für Ihren Kommentar.
Hinsichtlich dem ersten Einwand, dass das syrische Verteidigungsministerium nicht in Anhang I und II der VO Nr 36/2012 vom 18.01.2012 erwähnt wird, möchte ich auf die Durchführungsverordnung 2012/544/GASP des Rates vom 25.06.2012 hinweisen, da damit das Verteidigungsministerium in die Liste der sanktionierten Organisationen aufgenommen wurde (abrufbar hier https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012R0544). Es tut mir Leid, dass ich im Beitrag die VO Nr. 36/3012 nur in ihrer Erstfassung verlinkt habe. Soweit für mich ersichtlich, gibt es jedenfalls keinen Beschluss des Rates mit dem das syr. Verteidigungsministerium seit Juni 2012 wieder von der Sanktionsliste gestrichen wurde. Auch wenn sich die Länderberichtslage zu Syrien seit 2012 zweifellos geändert hat, stellte der Rat zuletzt im Jänner 2024 fest, „dass das syrische Regime seine Repressionspolitik fortsetzt. Es ist daher unerlässlich, die geltenden restriktiven Maßnahmen aufrechtzuerhalten und ihre Wirksamkeit durch eine ständige Weiterentwicklung dieser Maßnahmen zu gewährleisten.“ (siehe https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2024/01/22/syria-council-adds-six-persons-and-five-entities-to-eu-sanctions-list/ ).
Da Art 35 lit c der VO Nr 36/2012 den Anwendungsbereich der VO für Unionsbürger:innen definiert, macht Art 35 lit a leg cit für mich nur dahingehend Sinn, dass innerhalb der EU auch ein Anwendungsbereich für Drittstaatsangehörige eröffnet sein muss. Ein verfolgungsvermeidendes Verhalten in Form des Freikaufens würde aber – selbst bei einer fehlenden Strafbarkeit des Verhaltens aus formalen Gründen – jedenfalls dem Ziel und Zweck der EU Sanktionen widersprechen. Es sollte mE auch in diesen Fällen daher ausreichend berücksichtigt werden, dass für den EuGH in der Vergangenheit die Grenze des Flüchtlingen nicht mehr zumutbaren Verhaltens nicht erst dann erreicht war, wenn eine (Verwaltungs-)Strafe riskiert wurde.
Die Unterstellung in meinem Beitrag, dass sich Syrer XY im Zuge des Wehrdienstes zumindest mittelbar an Kriegsverbrechen beteiligen müsste, basiert auf der Klarstellung des EuGH Entscheidung in der Rs C-238/19, Rz 33ff, in Zusammenschau mit der (mE unveränderten) Berichtslage, dass die syrische Armee weiterhin Kriegsverbrechen begeht (vgl dazu zuletzt etwa den UN Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic vom 09.02.2024, abrufbar hier https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/hrbodies/hrcouncil/sessions-regular/session55/A_HRC_55_64_EN.pdf )
Die notwendige Verknüpfung zu einem Konventionsgrund wollte ich mit meinem Beitrag nicht in Zweifel ziehen und muss diese natürlich weiterhin im Einzelfall erfüllt sein. Nach Auffassung des EuGH gibt es in Fällen syrischer Wehrdienstverweigerer aber zumindest die (widerlegbare) starke Vermutung für eine Verknüpfung zu einem Konventionsgrund (EuGH 19.11.2020, C-238/19, Rz 61).
Die Beweislast für das Vorliegen dieser Verknüpfung trifft nach Auffassung des EuGH nicht die Asylwerber:innen (C-238/19, Rz 54ff). Nicht ganz unbeachtlich erscheint mir in diesem Zusammenhang aber auch die jüngere EuGH Rsp in der er mehrfach betonte den Begriff der „politischen Überzeugung“ weit auszulegen, sowie, dass Asylbehörden nicht verlangen dürfen, dass die politische Überzeugung bei dem Antragsteller so tief verwurzelt ist, dass er bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland nicht davon absehen könnte, sie zu äußern, um nicht die nachteilige Aufmerksamkeit der potenziellen Verfolger in diesem Land zu erwecken (vgl. etwa zuletzt EuGH 21.09.2023, C‑151/22, Rz 48).
Vielen Dank für die Antwort und weitere Erläuterung. Die DurchführungsVO kannte ich nicht und habe daher auf die verlinkte VO kommentiert.
Ein Anwendungsbereich für Drittstaatsangehörige sehe ich nicht gegeben und selbst wenn, ist keine Strafbarkeit zu erblicken, denn wir befinden uns im Verwaltungsstrafrecht und einer der Grundsätze ist, was nicht verboten ist, ist erlaubt. Der einfache Rechtsanwender, in dem Fall der Syrer, muss keine Auslegung etc. der VO vornehmen. Dahingehend wäre es Sache des Gesetzgebers, dies klarzustellen. Auch kann die Gerichtsbarkeit der EU nicht weltweit ausgedehnt werden kann, wenn ein Syrer diesen Beitrag bspw. aus Serbien oder Dubai bezahlt, ist keine Gerichtsbarkeit der EU gegeben. Dem RIS sind BVwG Erkenntnisse zu entnehmen, in dem Syrer diesen Beitrag bezahlt hatten und dem LIB ist zu entnehmen, dass dies als Befreiung normalerweise akzeptiert werde.
Zu Urteil Rs C-238/19 ist auszuführen, dass dies nicht vergleichbar mit der heutigen Lage ist. In dem Fall ging es um einen Syrer, der am 28.1.2016 einen Asylantrag in Deutschland stellte und der Fall wurde dem EuGH im Jahr 2017 vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt war davon auszugehen, dass Kriegsverbrechen vom syrischen Regime regelmäßig und weiten Teilen der Armee begangen wurden. Jetzt, viele Jahre später ist der Konflikt statisch geworden und auf wenige Gebiete beschränkt. Dem UN Bericht kommt nach der Rsp. des VwGH nur Indizwirkung zu und das LIB in der Version 11 sieht die Lage differenzierterer. Dass die Berichtslage in Syrien differenziert zu betrachten ist, entspricht auch der Rsp. des VwGH (vgl. jüngst etwa VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN).
Ob eine politische Überzeugung gegeben ist, wird in der Regel eine Frage der Beweiswürdigung sein und ist im Einzelfall zu prüfen.
Problematisch sehe ich eine „Zumutbarkeit“ viel mehr in einem anderen Bereich, und zwar wie es RA Mag. Frühwirth schon im Blog angesprochen hatte. Kann es zumutbar sein bzw. von einem Syrer verlangt werden, dem syrischen Regime, das zuvor möglicherweise seine Familie getötet hat, Geld zu bezahlen? Wohl eher nicht. Wie eine Zumutbarkeitsprüfung aussehen wird, wird uns hoffentlich irgendwann der VwGH mitteilen.
Zur VO Thematik hatte ich verabsäumt die Fragestellung zu formulieren, die aus meiner Sicht übrig bleibt. Die VO ist insoweit anwendbar, dass der Syrer, keine Überweisung von der EU aus direkt tätigen kann, denn die Bankinstitute sind daran gebunden und dürfen eine Überweisung nicht durchführen. Kann es aber zumutbar sein, zu verlangen, dass der Syrer, sofern das Kapital vorhanden ist, die Überweisung über einen Drittstaat abzuwickeln? Die Bank wird nicht sonderlich überprüfen können ob die VO umgangen wird, wenn gesagt wird, er überweist Geld seiner Familie oder warum auch immer in die Türkei oder nach Dubai etc. Dahingehend erscheint es mir, abgesehen von anderen Themen, als individuell zumutbar.
Höchst problematisch ist dann aber, dass der VwGH das nicht aussprechen wird können, denn dieser ist an die VO gebunden und würde den Willen des EU Gesetzgebers damit konterkarieren, wobei dies wahrscheinlich der EuGH beantworten wird müssen.
Soweit ersichtlich, ist die Frage derzeit aber theoretischer Natur, denn in den Erkenntnissen des BVwG erweisen sich die Begründungen zum Freikauf als reine Alternativbegründungen und der VwGH nach seiner Rsp. bei der Hauptbegründung aussteigt. Ich stimme zu, dass die Alternativbegründungen des BVwG, ohne sich mit den ganzen Problematiken überhaupt auseinanderzusetzen, nicht tragfähig sind und insofern generell entbehrlich sind.