Umweltkatastrophen und Klimawandel: Relevanz für internationalen Schutz?
2. Februar 2024 in
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Tags: Klimawandel, Umweltkatastrophen
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Die Auswirkungen des Klimawandels führen zu einem Anstieg der Quantität und Intensität von Wetterextremen, wie Überflutungen, Stürmen oder Dürren. Letztere wirken sich mitunter negativ auf Menschen aus, zum Beispiel durch das verstärkte Auftreten von Krankheiten, schwierigeren Zugang zu Nahrungsmitteln, Trinkwasser oder bewohnbarem Land, Einkommensverluste, manchmal sogar durch den Verlust von Leben. Diese Auswirkungen tragen zunehmend dazu bei, dass Menschen ihren Herkunftsort verlassen müssen. Auch wenn die meisten Menschen dabei innerhalb ihres Herkunftsstaates bleiben, so verlassen doch einige ihr Herkunftsland. Dies bringt besondere rechtliche Herausforderungen mit sich, vor allem aber stellt sich die Frage nach dem rechtlichen Status dieser Menschen.
Grundsätzlich gibt es auf völkerrechtlicher Ebene kein Instrument, das den Rechtsstatus einer Person regelt, die aufgrund von Umweltveränderungen bzw. der Auswirkungen des Klimawandels eine prekäre Situation im Herkunftsstaat vorfinden würde und deshalb nicht zurückkehren kann. Insofern wird von einer “Schutzlücke” gesprochen. Diese Lücke war und ist immer wieder Thema wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, in internationalen Gremien, aber auch in Diskussionen unter Staaten. Nachdem Staaten abgelehnt hatten, das Völkerrecht zu diesem Thema weiterzuentwickeln, wurde 2012 die “Nansen Initiative” – ein von Staaten geführter Konsultationsprozess – ins Leben gerufen. 2016 wurde diese von der Platform on Disaster Displacement (PDD) abgelöst. Im Rahmen dieses Prozesses wurden und werden „Good Practices“ zwischen Staaten (vor allem des Globalen Südens) zum Umgang mit grenzüberschreitender Vertreibung im Zusammenhang mit Umweltkatastrophen und Klimawandel ausgetauscht. Ein wichtiges Dokument in diesem Zusammenhang ist die Protection Agenda der Nansen Initiative aus 2015, die unter anderem auch von Österreich und der EU unterstützt wird. Sie enthält mögliche Lösungsvorschläge, die im Rahmen der PDD umgesetzt werden sollten. Maßnahmen in den Bereichen freiwillige Migration, internationaler Schutz, humanitäre Schutzformen, Visa etc. wurden vorgeschlagen. Schließlich prüft gerade die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (ILC), was der Anstieg des Meeresspiegels für die Staatlichkeit und den Schutz von Menschen bedeutet, wenn sie ihren Herkunftsstaat verlassen müssen.
Es herrscht Konsens, dass solange die Schutzlücke besteht, existierendes Völkerrecht effektiv anzuwenden ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, inwieweit die Betroffenheit durch Umweltkatastrophen bzw. Auswirkungen des Klimawandels bei der Prüfung, ob jemandem internationaler Schutz zu gewähren ist, zu berücksichtigen ist. Die mögliche Relevanz der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) wurde nicht nur in der akademischen Literatur, sondern auch von UNHCR in den Legal Considerations aus 2020 bejaht. Vor allem das Non-Refoulement-Prinzip wird als wichtige Grundlage angesehen, die Schutzlücke zu minimieren. Im Jahr 2020 hat der UN-Menschenrechtsausschuss im Fall Teitiota gegen Neuseeland, in dem es um die Rückkehr von Herrn Teitiota in den Inselstaat Kiribati ging, wo die Folgen des Klimawandels in vielen Lebensbereichen spürbar sind und der in absehbarer Zeit deshalb unbewohnbar sein wird, festgestellt, dass die Auswirkungen des Klimawandels per se das Refoulement-Verbot auslösen können. Der Ausschuss sah zwar das Refoulement-Verbot (hier abgeleitet vom Recht auf Leben, Artikel 6 UN-Zivilpakt) im konkreten Fall nicht verletzt, insbesondere da es Kiribati möglich sei, in den nächsten 10-15 Jahren noch Maßnahmen zu setzen, um den Verlauf zu ändern. Die Entscheidung wird aber als bahnbrechend und wegweisend für weitere Judikatur angesehen.
Auf europäischer Ebene befasst sich weder das supranationale EU-Recht noch das Recht des Europarats ausdrücklich mit der Frage, welcher rechtliche Status betroffenen Personen zukommen könnte. Auch gab es bislang noch keinen Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), in dem das Refoulement-Verbot mit den Auswirkungen des Klimawandels verbunden worden wäre. Der EGMR hat bislang nur in einem obiter dictum in der Entscheidung Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich vorgeschlagen, in Fällen, die sich auf „natürlich vorkommende Phänomene“ wie Dürren beziehen, den Ansatz der „medizinischen Fälle“ – und damit eine sehr hohe Schwelle (“exceptional circumstances”) – bei der Prüfung, ob ein reales Risiko einer Verletzung von Artikel 3 EMRK vorliegt, anzuwenden. Allerdings spricht gegen diese Sichtweise, dass Umweltkatastrophen – selbst jene, die nicht auf den Klimawandel zurückzuführen sind – nicht als alleinig von der Natur verursacht anzusehen sind, sondern, dass Menschen meist erheblich dazu beitragen, dass ein bedrohliches Umweltereignis zu einer Katastrophe wird (zB durch fehlende Katastrophenschutzvorsorge und -maßnahmen, Besiedelung besonders gefährdeter Gebiete, unzureichende Information über Gefahren). Diese Sichtweise kann in der Zukunft die Judikatur beeinflussen.
In einigen EU-Mitgliedstaaten halten sich Menschen aus Herkunftsländern auf, die sehr stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Das Fehlen von EU-Recht und einschlägiger Judikatur des EuGH und EGMR in diesem Bereich hat zur Folge, dass EU-Mitgliedstaaten unterschiedliche Ansätze bei der Frage, welcher Aufenthaltstitel zu gewähren ist, verfolgen. Dies hat kürzlich das ClimMobil-Projekt, das 2022 abgeschlossen wurde, und diesbezügliche rechtliche Normen und Rechtspraxis in Österreich und Schweden untersuchte, herausgefunden. Basierend auf den Ergebnissen dieses Projekts hat der vor kurzem im International Journal of Refugee Law (IJRL) erschienene Artikel “Cross-Border Disaster Displacement and Non-Refoulement under Article 3 of the ECHR: An Analysis of the European Union and Austria“ die mögliche Relevanz des Non-Refoulement-Verbots gemäß Artikel 3 EMRK, des subsidiären Schutzes nach Artikel 15 lit. b EU Qualifikationsrichtlinie sowie die konkrete Anwendung dieser Normen durch österreichische Gerichte untersucht. Basierend auf einer qualitativen Analyse von 646 Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) und des Asylgerichtshofs sowie höchstgerichtlicher Judikatur lässt sich für Österreich feststellen, dass Umweltfaktoren – wie zum Beispiel Dürren oder Überflutungen – in der rechtlichen Beurteilung vor allem von Entscheidungen zum subsidiären Schutz eine Rolle spielen, z.B. betreffend das Herkunftsland Somalia (sie spielen jedoch keine oder kaum eine Rolle in der rechtlichen Beurteilung betreffend Flüchtlingsstatus oder humanitären Schutz). In Österreich reicht gemäß § 8 Asylgesetz das reale Risiko einer Verletzung von Artikel 2 oder 3 der EMRK bei der Rückkehr in das Herkunftsland für die Gewährung von subsidiärem Schutz aus – unabhängig vom Vorhandensein eines Akteurs.
In Österreich hat die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) sowie des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) wichtige Akzente gesetzt: Der VfGH forderte in mehreren Entscheidungen, dass Umweltkatastrophen und relevante Herkunftsländerinformationen (COI) bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen sind (z.B. betreffend Dürre in Somalia und schlechte Versorgungslage; Flutkatastrophe in Pakistan 2010). Laut Judikatur des VwGH kann die Rückkehr in das Herkunftsland eine Verletzung von Artikel 3 EMRK darstellen, wenn der Betroffene dort keine Existenzgrundlage – auch aufgrund der Auswirkungen von Umweltkatastrophen – vorfindet. Allerdings reicht die bloße Berufung auf eine Dürre, die in der COI aufscheint, nicht aus – eine individuelle Betroffenheit ist notwendig. Dieser Ansatz des VwGH eröffnet die Möglichkeit, Umweltkatastrophen und ihre Auswirkungen bei einer Risikobewertung gemäß Artikel 3 EMRK zu berücksichtigen, dadurch subsidiären Schutz zu gewähren und so die Schutzlücke – wie auch von der Protection Agenda empfohlen – zu minimieren. Auf der Grundlage dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung wurden in Entscheidungen des BVwG (Auswirkungen von) Katastrophen – wie wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen, Ernährungsunsicherheit, Überschwemmungen, Heuschreckenplage und Erdbeben – bei der Beurteilung, ob subsidiärer Schutz zu gewähren ist, berücksichtigt. So hat das BVwG Personen, die von den Auswirkungen der schweren Dürre in Somalia besonders betroffen waren, subsidiären Schutz gewährt. Eine besondere Betroffenheit wurde beispielsweise aufgrund des Fehlens eines familiären Unterstützungsnetzes, des Berufs als Landwirt, des Geschlechts oder der Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan angenommen.
Wenn auch die eben erwähnte österreichische höchstgerichtliche Judikatur einen Beitrag dazu leistet, die Schutzlücke zu minimieren (und natürlich auch für aktuelle und zukünftige Umweltereignisse wie Erdbeben und Überflutungen von Relevanz ist), so wäre im Sinne der Protection Agenda ein umfassenderer Ansatz – wie oben erwähnt – notwendig.
Weitere Literaturhinweise: