Einleitung:
Das Recht, durch ein unabhängiges Tribunal gehört zu werden, ist ein Grundpfeiler des modernen Rechtsstaats und zählt dementsprechend zu den fundamentalen Verfahrensgarantien der Gerichtsbarkeit. Seinen positiv-rechtlichen Niederschlag findet es zum einen auf verfassungs- und primärrechtlicher Ebene in Art. 6 EMRK sowie Art. 47 GRC, seine innerstaatliche Ausgestaltung erhält es (im Bereich der Gerichtsbarkeit öffentlichen Rechts) in §§ 24 und 44 VwGVG sowie in Asylangelegenheiten ergänzend in § 21 BFA-VG. Auffällig ist, dass § 21 BFA-VG gleich drei unterschiedliche Absätze enthält, welche nähere Regelungen zur Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung treffen
(§ 21 Abs. 3, 6a und 7 BFA-VG). Darüber hinaus findet sich in § 21 Abs. 7 BFA-VG ein Verweis auf § 24 VwGVG. Doch wie stehen diese Regelungen im Verhältnis zueinander?
§ 21 BFA-VG, ein Steckbrief:
§ 21 Abs. 7 BFA-VG enthält ganz allgemein die Regel, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Für das weitere Verständnis ist wichtig hervorzuheben, dass die Regelungen des § 21 Abs. 3 und 6a BFA-VG Entscheidungen vor Zulassung des Asylverfahrens voraussetzen (daneben enthält Abs. 6a noch Regelungen zur Beschwerdeverhandlung im Zusammenhang mit Beschwerden über die Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung), der Anwendungsbereich der Abs. 3 und 6a ist daher insofern enger als jener des Abs. 7, welcher keine Einschränkung auf Entscheidungen im Zulassungsverfahren enthält.
Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG hat eine Beschwerdeverhandlung zu unterbleiben, wenn der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes durch die Verwaltungsbehörde derart gravierende Ermittlungsmängel anhaften, die nicht vom BVwG in der für die Erledigung des – im Rahmen des asylrechtlichen Zulassungsverfahrens abzuwickelnden – Beschwerdeverfahrens gebotenen Eile beseitigt werden können, sodass der Beschwerde stattzugeben ist (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0356, mwN). Dem BVwG ist dabei kein Ermessen eingeräumt (vgl. VwGH 28.4.2021, Ra 2020/14/0535, mwN).
§ 21 Abs. 6a BFA-VG schränkt den Anwendungsbereich noch weiter ein, als nur dann nach dieser Bestimmung ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden kann, wenn es sich um eine zurückweisende Entscheidung handelt, sei es wegen entschiedener Sache nach § 68 Abs. 1 AVG oder etwa wegen der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates im Rahmen eines Dublin-Verfahrens. Nach der Rechtsprechung des VwGH handelt es sich bei Anwendung des Abs. 6a jedoch nicht um ein freies, sondern ein pflichtgebundenes Ermessen des VwG, der/die erkennende Richter:in hat im Rahmen der Ermessensübung, bei der insb. auf Art. 6 EMRK sowie auf Zweckmäßigkeitsüberlegungen Bedacht zu nehmen ist, zu entscheiden, ob eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (vgl. dazu grundlegend und unter Verweis auf die Erläuterungen VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0072). Ob das BVwG dieses Ermessen überschritten hat, kann in einem nachgelagerten Schritt durch die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts im Wege eines Revisions- bzw. Beschwerdeverfahrens überprüft werden. In diesem Sinne erscheint es mE zur Ermöglichung der nachprüfenden Kontrolle dieser Ermessensübung sowie im Sinne der Nachvollziehbarkeit geboten, die maßgeblichen Überlegungen zur Ermessensübung im Erkenntnis selbst anzuführen. Der VwGH hat in seiner Rsp. zu § 44 VwGVG jüngst vertreten, dass ein relevanter Verfahrensmangel im Zusammenhang mit der Nichtdurchführung einer Verhandlung etwa dann anzunehmen sei, wenn sich im Erkenntnis keine Ausführungen zur Ermessensübung finden (vgl. VwGH 4.3.2022, Ra 2020/02/0248). Es ist jedoch fraglich, ob diese zu Beschwerdeverhandlungen in Verwaltungsstrafsachen vertretene Ansicht ipso facto auch auf andere (wenn auch ähnliche) Normen umgelegt werden kann.
Wird eine zurückweisende Entscheidung nach Zulassung des Verfahrens getroffen, so ist nach der Rsp. des VwGH § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG anwendbar, bei dem nach der Judikatur ebenfalls eine Ermessensübung stattzufinden hat, ob trotz Parteiantrages eine Verhandlung durchgeführt wird oder eben nicht (vgl. etwa VwGH 30.11.2018, Ra 2018/20/0526). Im Ergebnis scheinen sich § 21 Abs. 6a BFA-VG und § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG mE in diesem Umfang daher grundsätzlich nicht zu unterscheiden.
Der VwGH vertritt in ständiger Rsp., dass die Wendung „unbeschadet des Abs. 7“ in
§ 21 Abs. 6a BFA-VG so zu verstehen ist, dass es auf die dort maßgebliche Ermessensübung jedoch nur dann ankommt, wenn die Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG nicht vorgelegen sind (etwa VwGH 14.7.2021, Ra 2021/14/0129, mwN). Ob dies auch für jene Fälle gilt, in denen eine zurückweisende Entscheidung außerhalb des Zulassungsverfahrens getroffen wurde und somit die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt sind, erscheint fraglich und ist mE aufgrund des Umstandes, dass § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG als lex specialis § 21 Abs. 7 BFA-VG vorzugehen scheint, zu verneinen (in diesem Sinne auch VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, Rn. 3.2. und 4.3.), wurde bis dato jedoch noch nicht ausdrücklich judiziert. Der VwGH scheint jedoch in Richtung eines Vorrangs des
§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu tendieren (vgl. VwGH 30.11.2018, Ra 2018/20/0526 sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 5.10.2021, Ra 2020/18/0424).
Die Regelungen im Verhältnis zueinander, ein Beispiel:
Der Folgeantrag eines/einer Asylwerbers/Asylwerberin wurde mit Bescheid des BFA nach Zulassung des Verfahrens gemäß § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich Asyl wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, hinsichtlich des subsidiären Schutzes hingegen abgewiesen, eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (neben den übrigen im Gesetz vorgesehenen Aussprüchen). Wonach hat sich das BVwG nun zu richten, wenn es von der Durchführung einer Verhandlung trotz Parteiantrages absehen möchte?
Nachdem der Folgeantrag hinsichtlich Asyl nach Zulassung des Verfahrens abgewiesen wurde, ist nach der Rsp. nicht § 21 Abs. 6a BFA VG, sondern § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG einschlägig. Hinsichtlich des subsidiären Schutzes richtet sich die Verhandlungspflicht nach der allgemeinen Regel des § 21 Abs. 7 BFA-VG. Nachdem es sich auch bei der Rückkehrentscheidung um eine inhaltliche Entscheidung handelt, ist auch hier § 21 Abs. 7 BFA‑VG einschlägig. Hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung kann das BVwG gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG von der Durchführung einer Verhandlung absehen (in der Praxis wird aufgrund der einwöchigen Entscheidungsfrist über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedoch in den meisten Fällen ohnehin ein auf diesen Spruchteil beschränktes Teilerkenntnis erlassen).
Im Zwischenergebnis kommt es damit zu dem seltsam anmutenden Fall, dass für ein und dieselbe Beschwerdeverhandlung drei unterschiedliche Regelungen zur Anwendung gelangen. Im Ergebnis kommt es daher zu einer „Teilung“ nach Spruchpunkten, wobei es hinsichtlich der Zurückweisung des Asylantrages auf das pflichtgebundene Ermessen des BVwG und hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte (zunächst) auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG ankommt.
Ob eine derartige Trennung zweckmäßig ist, erscheint aber fraglich. Zweckmäßig erscheint eine Trennung dann, wenn Trennbarkeit der Spruchpunkte gegeben ist und die angefochtene Entscheidung damit nur hinsichtlich einzelner Punkte behoben werden kann. Im eingangs geschilderten Beispiel könnte man bspw. zu dem Ergebnis gelangen, dass nur hinsichtlich der Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der Rückkehrentscheidung eine Verletzung der Verhandlungspflicht wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG anzunehmen ist, der Entfall der Verhandlung im Übrigen jedoch von § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG (sowie im Fall, dass der Ausspruch über die aufschiebende Wirkung im selben Erkenntnis getroffen wurde, von § 21 Abs. 6a BFA-VG) gedeckt ist. Diesfalls wäre das angefochtene Erkenntnis „nur“ wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften hinsichtlich der Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes (samt den davon abhängenden Spruchpunkten) zu beheben. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Rsp. des VwGH zu derartigen Konstellationen entwickelt.
Fazit:
Die Regelungen zur Verhandlungspflicht sind durchaus unterschiedlich, weisen im Kern jedoch einige Gemeinsamkeiten auf. Durch die Judikatur des VwGH wird die „Aufspaltung“ einer Beschwerdeverhandlung in mehrere Regelungsregime großteils vermieden, jedoch nicht gänzlich verhindert. Es wäre daher wünschenswert, wenn der Gesetzgeber zur Vermeidung unnötiger Komplikationen sowie zur Erleichterung der Rechtsanwendung hier entsprechend nachschärfen würde.